Dieter Blum: Fotografien - Rede zur Vernissage am 17.06.2015

Dr. Kristina Hasenpflug

Dieter Blum gehört zu den großen deutschen Fotografen, die weltweit anerkannt und geschätzt sind. Über 150 Auszeichnungen wurden ihm international verliehen, darunter 1982 – vielleicht als ein früher Höhepunkt - der renommierte World Press Award für seine im „stern“ publizierte Serie über Herbert von Karajan und die Berliner Philharmoniker. Am vergangenen Samstag wurde ihm die Medaille Vermeil der französischen Akademie für Wissenschaft, Kunst und Literatur für sein Lebenswerk verliehen: in der 100-jährigen Geschichte der Akademie wurde diese Auszeichnung erstmals an einen Fotografen vergeben. Herzlichen Glückwunsch!

Dieter Blum ist in Esslingen aufgewachsen und entdeckte schon als Kind die Fotokamera; mit acht Jahren machte er seine ersten Aufnahmen von seiner Schwester – und ab da hat ihn die Fotografie nicht mehr losgelassen. Nach der Schule und einer kaufmännischen Ausbildung wandte sich Dieter Blum ganz der Fotografie zu – mit Leidenschaft und als Profession. Bald konnte er für große Magazine fotografieren und hat unter anderem für stern, Spiegel, Geo, Time und Vanity Fair das kulturelle Zeitgeschehen festgehalten. Aber auch als Industrie- und Werbefotograf gelang ihm der Aufstieg in die höchste Liga – er arbeitete z. B. für Shell oder für Marlboro, deren Werbekampagne er zwölf Jahre lang fotografierte und die mit seinen Bildern von Freiheit und Abenteuer eine ganze Generation prägte.

Während ein Fotojournalist in erster Linie die vorgefundenen Ereignisse fotografisch festhält, dabei nach dem besten Blickwinkel und dem spannendsten Bildausschnitt sucht, ohne auf das Geschehen Einfluss nehmen zu können, ist der Werbefotograf vorrangig der Regisseur des Geschehens, das ihm das gewünschte Bild liefern soll.

Und in der Marlboro-Kampagne konnte Dieter Blum mit dem ganz großen Besteck arbeiten: 29 Lastwagen mit Lichttechnik, Wind- und Regenmaschinen, 30 Pferde, noch mehr Rinder und 20 Cowboys, die er selbst casten konnte, standen ihm zur Verfügung. Dieter Blum spricht selbst von der „höchsten Herausforderung“, vor die er sich mit diesem Auftrag gestellt sah.

Zwischen den fotojournalistischen Serien, den Auftragsarbeiten und freien künstlerischen Projekten Dieter Blums lässt sich keine scharfe Trennung ziehen. Dieter Blum nähert sich allen Themen mit großer Ernsthaftigkeit, mit lebendigem Interesse und seinem besonderen Auge. Ein anderer ganz großer der Fotografie, der übrigens wie Dieter Blum als Autodidakt begonnen hat, Henri Cartier-Bresson, sagte:

„Das eine Auge des Fotografen schaut weit geöffnet durch den Sucher, das andere, das geschlossene, blickt in die eigene Seele."

Jedes fotografische Bild gibt es bereits, bevor es sich als Fotografie materialisiert und als Objekt vor uns liegt. Nämlich im Kopf des Fotografen. Eine Fotografie zeigt uns weniger die Welt, als die Sicht des Bildautors auf die Welt.

In einer in den siebziger Jahren entstandenen Serie Dieter Blums wird dies ganz besonders deutlich. Dieter Blum hat die ganze Welt bereist, aber die ganz große Reise seines Lebens führte ihn 1974 von Nord nach Süd durch den Afrikanischen Kontinent, zu einer Zeit als die meisten afrikanischen Staaten erst wenige Jahre in die politische Unabhängigkeit entlassen waren und nach Wegen in die wirtschaftliche wie soziale Eigenständigkeit suchten – ein konfliktreicher Prozess, der ja leider bis heute andauert.
Jahrhunderte lang galt Afrika als dunkler Kontinent, der zwar wegen seiner Bodenschätze, seiner agrarökonomischen Ressourcen und nicht zuletzt wegen seiner einzigartigen Tierwelt geschätzt, dessen Bevölkerung aber weithin als kulturlos angesehen wurde. Vor diesem Hintergrund brach Dieter Blum mit zwei Reisegefährten in einem VW-Bus nach Afrika auf, auf eine Reise, die auch zur gefährlichsten seines Lebens werden sollte. Als er illegal die damals geschlossene Grenze zu Uganda überquerte, wurde er inhaftiert – keine guten Aussichten in einem Staat, in dem bereits mehrere, unliebsame Journalisten und Fotografen liquidiert wurden. Nur ein Telegramm an den Diktator Idi Amin, das allerdings seinen Empfänger nie erreichte, rettete ihn aus dieser prekären Lage.

Aus den Fotografien dieser Reise ist das umfangreiche Buch „Africa“ entstanden – übrigens nur eines von über 70 Fotobüchern, die Dieter Blum publiziert hat.

Hier gegenüber hängen einige Arbeiten aus dieser Serie.

Das Buch zeigt uns einen Kontinent mit atemberaubenden Landschaften, unfassbar vielfältig, mit Städten wie aus „Tausendundeine Nacht“, und immer wieder Menschen: in Aktion, in Gemeinschaft, bei Zeremonien und Festen, aber auch stille, fast zärtliche Portraits. Es zeigt uns einen Kontinent voller Schönheit.

Diese Bilder öffnen uns nicht allein die Augen für diese fernen Länder und Menschen, sondern sie erlauben uns auch, darüber wie der Fotograf seine Sujets auffasst, einen Blick in seine Seele. Schönheit – das ist es wohl, wonach Dieter Blum strebt, wonach er sucht – in Landschaften, Gesichtern und Körpern.

Daher wundert es nicht, dass Dieter Blum sein Hauptwerk den drei Themenfeldern Musik, Kunst und Tanz gewidmet hat. Die Serie über die Berliner Philharmoniker und ihren Dirigenten Herbert von Karajan habe ich bereits erwähnt.

Für das Langzeitprojekt „A Part of Art“, aus dem ebenfalls ein Buch entstanden ist, portraitierte Dieter Blum Künstlerinnen und Künstler in einem ungewöhnlichem Setting: der Fotograf erschien zu den Portraitaufnahmen in Begleitung eines – unangekündigten – Aktmodells. Es ist interessant zu sehen, wie unterschiedlich die Künstlerinnen und Künstler mit der Situation umgehen: man sieht keine geringeren als Louise Bourgeois, Alex Katz, Robert Rauschenberg, Jörg Immendorf oder Markus Lüpertz - um nur wenige zu nennen. Hier in der Ausstellung wird ein Bild aus der Sitzung mit Elvira Bach gezeigt. Die für ihre expressiven Frauenbildnisse bekannte Künstlerin nutzte den Überraschungsbesuch für eine Bodypainting-Aktion.

Das große Herzensthema Dieter Blums aber ist der Tanz, mit dem er sich seit Jahrzehnten beschäftigt: Die Ästhetik, die Kraft und gleichzeitige Schwerelosigkeit, faszinieren ihn. Die Hingabe der Tänzer, ihren Fleiß und ihre Ausdauer bewundert er. Balletttänzer ist einer der physisch forderndsten Berufe. Wessen Körper mitmacht, der kann nach fünf Jahren Ausbildung vielleicht 15 bis 20 Jahre auf der Bühne stehen, dann ist die Karriere in der Regel vorbei: ein Leben im Zeitraffer.

Dieter Blum fotografierte Compagnien auf der ganzen Welt – und immer wieder das Stuttgarter Ballett. Hier zeigt sich Blums Bandbreite in Bezug auf Herangehensweise und fotografische Technik. Er sagt von sich selbst, er sei Pragmatiker, die Technik, auch die Frage ob analog oder digital fotografiert wird, interessiere ihn nicht. Was zählt ist das Bild. Und so fotografierte er die Tänzer zum einen on stage, also während der Aufführung und ohne großes technisches Equipment. Andere Bilder wiederum wurden im Studio mit Licht und allen Raffinessen inszeniert. Und dann gibt es wunderschöne Arrangements in der Natur, bei denen Dieter Blum auf die natürlichen Lichtverhältnisse vertraute. Allein elf Fotobücher sind aus den Ballettserien entstanden.

Hier in der Ausstellung sehen Sie ein Bild, das Dieter Blum in seinem Studio arrangierte. Es gehört zur Serie „Pure Dance“, für die er Tänzerinnen und Tänzer des Stuttgarter Balletts unbekleidet fotografierte. In diesen Aufnahmen zeigt er die Plastizität des durch klassisches Training gebildeten menschlichen Körpers: die Kraft und Geschmeidigkeit, die den Tänzern ihre magische Schwerelosigkeit verleihen. Auf dem Bild springen mehrere Tanzpaare gleichzeitig, der neutrale Hintergrund und die dramatische Lichtführung lassen die Tänzer fliegen wie einen Schwarm graziler Vögel, deren natürliches Element die Luft ist.

Auch den heutigen Ehrengast, Eric Gauthier, hat Dieter Blum in dieser Serie mehrfach portraitiert. Eric Gauthier ist eine künstlerische Dreifachbegabung: Er war lange Jahre Solist im Stuttgarter Ballettensemble und reüssierte unter anderem als meisterhafter Interpret der Choreografien von William Forsythe. Namhafte Choreografen entwickelten eigens Rollen für ihn, darunter auch Christian Spuck. Vor zehn Jahren begann er selbst als Choreograf zu arbeiten und leitet inzwischen am Theaterhaus Stuttgart die Gauthier Dance-Compagnie. Aber Eric Gauthier ist auch Musiker und wird heute Abend zur Ehren Dieter Blums ein kleines Konzert geben.

Eines der Portraits von Eric Gauthier gibt es in der Jubiläumsedition des Kunsthaus Frölich: 3 Motive hat Dieter Blum dafür ausgesucht, darunter eben auch ein Bild von Eric Gauthier. Die hochwertigen Prints auf handgeschöpftem Papier haben pro Motiv eine 9er Auflage.

Im Vordergrund dieses Bildes springt ein anderer fantastischer Tänzer, Vladimir Malakhov. Von ihm hängen im oberen Ausstellungsraum weitere 4 Bilder. Der Jahrhunderttänzer (als der er gerne apostrophiert wird) leitete nach seiner Zeit als Solist am Stuttgarter Ballett zwölf Jahre lang das Berliner Staats-Ballett. Im vergangenen Jahr wechselte er zum berühmten Tokyo Ballett nach Japan.

Dieter Blum zeigt uns in den Malakhov-Portraits die Dynamik und Präzision eines bis in die kleinste Muskelfaser definierten Körpers und die Grazie eines begnadeten Tänzers. Diese skulpturale Schönheit unterstreicht Dieter Blum durch die Präsentationsform in Vitrinenrahmen: die hochwertigen Handabzüge werden zur Trocknung mit braunem Papierband fixiert. Dieses Band hat Dieter Blum nicht entfernt, es fasst die Abzüge, die locker auf hellbraunem Grund in Objektrahmen eingelegt sind. Den Hintergrund hat er mit den Initialen des Tänzers gestempelt. Wie der Körper des Tänzers durch die harte Arbeit im Ballettsaal geformt wird und seine Anmut ohne sie nicht denkbar wäre, trägt die Rahmung Spuren des Arbeitsprozesses des Fotokünstlers. Wie Enthusiasmus und Präzision zur Apotheose des menschlichen Körpers zur göttergleichen Figur führen, entsteht das Kunstwerk durch die sorgfältige Handarbeit des Künstlers.

Besonders der Malakhov-Serie merkt man als Betrachter an, dass zwischen Fotograf und Tänzer Einvernehmen herrscht, dass diese Beziehung von Respekt und Vertrauen geprägt ist. Und es gibt vielleicht noch eine Facette in der Beziehung zwischen Fotograf und Tänzer. Der Fotograf, der den Augenblick festhält, eine Millisekunde unserer stetig vergehenden Lebenszeit fixiert, und der Tänzer, der nicht nur Schöpfer einer Kunst ist, der das Vergängliche immanent ist, die nur im Augenblick erblüht, sondern dafür auch ein beschleunigtes Leben, ein schnell vergängliches Leben als Künstler in Kauf nimmt. Es ist, als würden Zeitlosigkeit und Zeitlichkeit in diesen Bildern zueinanderfinden, in einem verdichteten Moment des Austauschs, in dem Dieter Blum die Schönheit für Augenblicke der Vergänglichkeit enthebt.